Klarheit

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„Folha de S. Paulo“, 16.8.78
Plinio Corrêa de Oliveira
Die Wahlstimmung durchdringt uns in diesen Tagen von oben bis unten. In Brasilien natürlich. Und mit dem Tod Pauls VI. auch in der Kirche. Unsere weltliche und unsere geistliche Heimat befinden sich in der Wahlphase.
Zwischen den nationalen Wahlen und dem erhabenen Konklave, das bald in Rom stattfinden wird, sind die Unterschiede enorm. Was sich aus der Natur der Dinge ergibt.
Doch so groß die Unterschiede zwischen den beiden Wahlen auch sind, so gibt es doch auch Gemeinsamkeiten. Eine davon möchte ich hervorheben. Obwohl diese Gemeinsamkeit beiden Wahlen äußerlich ist, bedingt sie sie in gewissem Maße. Und deshalb ist sie so wichtig.
Sowohl im Hinblick auf das Konklave als auch auf die brasilianischen Wahlen fällt mir auf, dass sich die Kommentare und Prognosen eher auf Personen als auf Programme beziehen.
In einer Zeit, in der die Öffentlichkeit selbst in den verschlossensten Kreisen so großen Einfluss hat – in einer Zeit, in der so viele Menschen Öffentlichkeit mit Werbung verwechseln und naiverweise glauben, das Gesicht der Werbung spiegele stets das der Öffentlichkeit wider – in einer Zeit, in der eine apathische, schläfrige Öffentlichkeit den Ereignissen zusieht, ohne den Lärm der Werbung oder das Verhalten von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu verstehen, die oft überempfindlich auf solchen Lärm reagieren, frage ich: Stimmt es, dass die Massen die Dinge so sehen und empfinden, wie sie von so vielen sogenannten Medien präsentiert werden?
Was Brasilien betrifft, wie auch die Kirche, so muss ich diese Frage verneinen. Ich lasse Brasilien hier außen vor, weil es die Kürze erfordert. Und ich werde nun von der Kirche sprechen.
Von der Kirche, ja, am Vorabend des Konklaves.
Angesichts der Flut von Namen von Kandidaten für das Papstamt, die ihnen vorgelegt werden, wollen die Leute nicht so viel über deren Herkunft, Alter und kirchlichen Werdegang wissen, noch wie sie Aussehen (ein Aussehen, das meist in eine der gängigen Varianten fällt: jovial-lächelnd, wohltätig-traurig, zerzaust-frenetisch, wobei Letzteres bei Kardinälen noch nicht in Mode ist). Was die Leute wissen wollen, läuft auf diese Hauptfrage hinaus: Paul VI. verkündete, dass die Kirche Opfer eines mysteriösen „Prozesses der Selbstzerstörung“ sei (Ansprache vom 7.12.68) und dass der „Rauch Satans“ in sie eingedrungen sei (Ansprache vom 29.6.72). Der verstorbene Pontifex – vor dessen sterblichen Überresten ich mich hier mit gebührender Ehrfurcht verneige – ging also in die Ewigkeit, während die Selbstzerstörung im Gange war und der Rauch Satans sich ausbreitete. Was wird sein Nachfolger über Selbstzerstörung und Rauch denken? Wie wird er mit beidem umgehen?
Tausend andere Fragen ließen sich über den neuen Papst stellen. Doch die, die ich gerade betrachtet habe, ragen vor allen anderen heraus. Denn jeder, der in einem Boot inmitten des schlimmsten Rauchs segelt und Passagiere dabeihat, die das Holz auseinanderreißen, ist sofort und vor allem daran interessiert zu erfahren, was gegen den Rauch und die Zerstörer des Bootes unternommen wird. Nun ist die Heilige Kirche Gottes das bewundernswerte, das edelste, ich möchte fast sagen, das anbetungswürdige Schiff Petri. Es ist natürlich, dass diese Fragen, wenn sie gestellt werden, auch von den Passagieren dieses Schiffes gestellt werden.
Es gibt unzählige Katholiken, die Rauch und Selbstzerstörung zu Recht mit zwei großen Tendenzen in der Kirche unserer Tage identifizieren. Eine dieser Tendenzen entwickelt sich auf theologischer, philosophischer und moralischer Ebene: dem Progressivismus.
Die andere Tendenz entwickelt sich auf dreifacher diplomatischer, sozialer und wirtschaftlicher Ebene. Je nach Betrachtungswinkel nennt man es Annäherung an den Osten, Annäherung an den Sozialismus und Annäherung an den Kommunismus.
Wenn wir bedenken, dass der Progressivismus wiederum eine Annäherung an die tausend Aspekte dessen ist, was man üblicherweise als „moderne Mentalität“ bezeichnet (die gewissermaßen eine Fiktion ist, der nur wenige Menschen vollständig, viele nur eingeschränkt und in deutlich unterschiedlichem Ausmaß folgen und die nicht wenige ablehnen), kommen wir zu dem Schluss, dass das Pontifikat des künftigen Papstes wesentlich von seiner Haltung gegenüber einer doppelten Annäherung geprägt sein wird: a) der weltlich-publizistisch-progressiven; b) der sozial-kommunistischen.
Bitte verzeihen Sie mir die Neologismen. Vielleicht wäre es besser, sie anders zu formulieren. Aber sie fallen mir beim Schreiben ein und helfen mir, meine Aussage einfach und schnell auszudrücken. So sparen sie dem Leser und mir Zeit. In unserer Zeit hat man Verständnis für die Eile, die viele Unschönheiten hervorruft…
Was denken die vielen Kardinäle, deren Namen als „Papabili“ in den Raum geworfen werden, über diese Annäherungen? Wie sieht jeder von ihnen die Strömungen, zu denen diese Annäherungsbewegungen ihn einladen? Als Hydren, die sofort mit dem feurigen Schwert des Geistes besiegt werden müssen? Als intelligente, lenkbare und vielleicht ein wenig törichte Gegner, mit denen man langsame, angenehme und vielleicht sogar herzliche Verhandlungen führen kann? Als Partner, in einer Koexistenz oder gar Zusammenarbeit, die durchaus akzeptabel und in gewisser Weise sogar freundschaftlich ist? Dies sind, neben tausend Fragen, die die meisten Passagiere des heiligen Schiffes Petri jedem „Papabile“ stellen möchten.
Und auf diese Fragen, die in der Luft hängen, sehe ich meist nur Fragmente von Antworten um mich herum, undurchsichtig, zähflüssig, völlig unbefriedigend. Ob es uns gefällt oder nicht: Wenn der Name des neuen Papstes von der Loggia des Petersdoms verkündet wird und der übliche Jubelschrei von dem riesigen, von Bernins Kolonnaden umgebenen Platz erklingt, wird sich in den Köpfen der Menschen zugleich eine stille, aber besorgte Frage erheben: Wird der neue Nachfolger des heiligen Petrus angesichts derer, die eine Annäherung befürworten, ein Kämpfer, ein Vermittler oder ein geschickter Anpassungsjongleur sein? Und er, in dessen Händen die erhabene Schlüsselgewalt liegt, dessen Entscheidungen souverän und unabhängig von menschlichen Urteilen sind, dessen pastorale Mission ihn aber nicht gleichgültig gegenüber den Sehnsüchten und Nöten der Schafe lassen kann, wird sich in der feierlichen Stunde seiner Akklamation fragen: Welche der drei Haltungen erwartet dieses riesige Volk von mir? Während wir in ununterbrochenem, unterwürfigem und vertrauensvollem Gebet diesen Höhepunkt der ersten Begegnung voller Freude und Sorge erwarten, können wir nur fragen: Was wünscht sich die gläubige Herde? Viele, das ist ganz klar, bevorzugen einen Papst, der angesichts des dualistischen Ansatzes ganz diese oder jene Haltung vertritt. Ich zähle mich, wie jeder weiß, zu denen, die sich über die Wahl eines kämpferischen Papstes wie Gregor VII. oder Pius X. freuen würden. Andere bevorzugen eindeutig einen „annäherungsorientierten“ Papst, wie Pius VII. seiner Zeit war. Und so weiter.
Aber was wünscht sich die große Mehrheit der Gläubigen?
Auf den ersten Blick wirken sie apathisch. Ist diese Apathie Desinteresse? Ich glaube nicht.
Was ist es dann? Meiner Meinung nach ist es der Ausdruck respektvoller und daher stiller Verwirrung derer, die nicht verstehen, nicht zustimmen und nicht zu widersprechen wagen.
Diese große Mehrheit, in deren Schweigen ich deutliche Spuren von Müdigkeit, Angst und Entmutigung zu erkennen scheine, wünscht sich sofort und vor allem Klarheit. Ja, sie möchte in einem Schweigen, das zunehmend ratlos wird, vor allem wissen, was dieser Rauch ist, was die ideologischen Etiketten und menschlichen Instrumente sind, die Satan als „Sprühnebel“ dieses Rauchs dienen, worin die Zerstörung besteht und wie man erklärt, dass diese Zerstörung seltsamerweise eine Selbstzerstörung ist?
Ist es nicht das, was Sie, lieber Leser, wissen möchten? Sie, liebe Leserin? Nun, ich auch. Und wie wir, auch Tausende, Millionen, Hunderte Millionen Katholiken.
Und was ist gerechter, logischer, kindlicher und edler, als dass die Kinder des Lichts Ihn, zu dem gesagt wurde: „Du bist Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“, um Klarheit bitten?

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Aus dem Portugiesischen von „Clareza“, in Folha de Sāo Paulo vom 16. August 1978

Die deutsche Fassung dieses Artikels ist erstmals erschienen in www.p-c-o.blogspot.com

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 Bild: PRCprivat

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