„Sprich nur ein Wort …“

Folha de S. Paulo“, 1. Juli 1980
von Plinio Corrêa de Oliveira
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Angesichts der zwölf intensive Tage, die je nach Sachlage die zu den intensivsten unserer Geschichte gehören werden. Offensichtlich für Seine Heiligkeit Johannes Paul II., der sie in Brasilien verbringen wird. Aber auch für uns Brasilianer, die die Ehre haben, ihn zu beherbergen.
Ich möchte besonders auf diesen Punkt hinweisen: auch für uns. Der Besuch eines Staatsoberhauptes ist immer Anlass für Demonstrationen und Feierlichkeiten, die für Ablenkung bei den Menschen sorgen, die ihn empfangen. Und nichts weiter. Doch der Besuch eines Papstes geht zugleich tiefer und höher. Denn die Bevölkerung sieht im Besucher den Inhaber der höchsten Autorität des Lehramtes der Kirche und jene muss sich in der Regel an seinem Denken ausrichten. Wobei – wenn der Papst es will – kann eine einfache Rede von ihm zu einem bestimmten Thema einen entscheidenden Einfluss darauf haben, was mehr als 90 % der Brasilianer in dieser Hinsicht denken, wollen oder tun.
Nun habe ich gehört, dass Johannes Paul II. einer Tageszeitung aus einer unserer Großstädte zufolge während der zwölf Tage, die er hier verbringen wird, nicht weniger als 70 (ja, siebzig) Reden halten will. Ich bezweifelte es, denn der Durchschnitt erschien mir erstaunlich: sechs Reden pro Tag und an zwei freien Tagen „nur“ fünf!
Reden dieser Art werden in der Regel von angesehenen Besuchern bei Ehrungen, bei der Einweihung öffentlicher Denkmäler und karitativer Werke oder schließlich bei Besuchen angesehener Institutionen gehalten. Im Falle des Papstes sind dies offensichtlich auch – und vor allem – liturgische Handlungen vor Menschenmengen oder Versammlungen bestimmter Personengruppen: Bischöfe, Priester, katholische Einrichtungen, Berufsverbände usw.
Aus dieser Aufzählung können wir ersehen, zu wie vielen Reden der Besuch eines Papstes Anlass geben kann. Und wir verstehen auch das Interesse der unterschiedlichsten Sektoren, Einfluss auf die Festlegung der Tagesordnung des Papstes während seines Aufenthalts unter uns zu nehmen. Denn es geht um Einfluss auf die Erstellung der Themenliste zu nehmen, die er behandeln wird. Mit anderen Worten: Es geht um nichts weiter als darum, – wenn auch indirekt – die letztendliche Richtungsbestimmung unsererseits in dieser oder jener Angelegenheit zu beeinflussen.
Wie auch immer dachte ich, selbst wenn Johannes Paul II. keine 70 Reden halten würde (und damit einen in der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche beispiellosen Rekord an Reden brechen würde), wird er mit Sicherheit zahlreiche Gelegenheiten haben, zu den Brasilianern zu sprechen.
Um alles, was Seine Heiligkeit unter uns sagt, auch in seinen subtilsten Nuancen verstehen zu können, zog ich mich für ein paar Tage auf den Bauernhof eines Freundes zurück, um im „Osservatore Romano“ selbst alle Reden und Ansprachen von Johannes Paul II. während seines dreitägigen Aufenthalts in Frankreich im Volltext zu lesen. Ich habe dann überprüft, dass es dreißig waren. Mit anderen Worten: Der lebhafte und kraftvolle polnische Pontifex hat in Paris bereits den Rekord übertroffen, den ich für Brasilien für unwahrscheinlich gehalten hatte. Wodurch es normal ist, dass er uns überhaupt 70 Reden hält?
Dies betrifft die Anzahl der Reden.
Durch das Studium der französischen Texte kann ich bereits meine Vorhersagen über ihre Qualität treffen. Was ich lese ist, dass eine schöne Balance zwischen der Dichte der Themen und der Ernsthaftigkeit der Darstellung einerseits und der ausgeprägten Einfachheit und der natürlichen, fließenden Klarheit der Sprache andererseits herrscht. Und das alles, ohne dabei zu vergessen, dass hier und da ein Hauch von Zuneigung durchscheint, der für die polnische Sensibilität sehr charakteristisch ist.
Und in diesem Zusammenhang komm ich nicht umhin nebenbei unerwähnt lassen, wie sehr die Zivilisation der Bilder in Brasilien an Boden gewinnt. Seit seiner Wahl wird Johannes Paul II. ununterbrochen in all unseren Kommunikationsmitteln gelobt. Und sehe ich in allen Veröffentlichungen Fotos von ihm, wie er etwas tut oder sagt. Allerdings habe ich nichts bzw. fast nichts über den Inhalt seiner Worte gelesen. Und sogar die Dominanz – vielleicht sogar das Monopol – von Bildern und Nachrichten über die Reflexion (seiner Worte).
Das tut mir leid. Ich habe die Rede des Papstes in Puebla studiert und in dieser Zeitung die Fragen, aber auch die Freude und Hoffnung zum Ausdruck gebracht, die ich in diesem Zusammenhang empfand. Ich habe auch die Botschaft zum ersten Tag des Jahres von S.H. zum Thema Menschenrechte gelesen. Es handelt sich um ein Dokument, das allein schon ausreichen würde, ein ganzes Pontifikat zu charakterisieren. Warum wird so wenig über das gesprochen, was ein Pontifex sagt, der so viel redet? Jeder kennt seine Stimmung, sein Temperament, seine Einstellung und sein Verhalten. Wer kennt ernsthaft seine Gedanken?
Tatsache ist, dass Johannes Paul II. in Paris seine Denkweise zu mehreren heiklen Themen offengelegt hat. Und was er sagt, trägt den Stempel einer Gedankenlinie und eines tiefgründigen, logischen und eigentümlichen Handlungsprogramms. Und alles lässt vermuten, dass er sich auch so in Brasilien zeigen wird. Während ich mich darauf vorbereite, die 70 Reden zu studieren, die er hier vielleicht halten werde, und die 30 lese, die er dort gehalten hat, nehmen in meinem Herzen als Katholik und Brasilianer gewisse Sehnsüchte Gestalt an. Und es zeichnen sich einige Ratlosigkeiten ab.
Ich spreche zunächst über die Ratlosigkeit.
Ich denke an die Schwierigkeiten, die unser verehrter Besucher haben wird, wenn er sich einen Überblick über die Realität der Fakten und Situationen in unserem Land verschaffen will, das so reich an Nuancen und Vielfalt, aber so arm an Statistiken, informativen Dokumentationen usw. ist.
Ich stelle mir zum Beispiel seine Entmutigung vor, als er, als er etwas über das ländliche Brasilien erfahren wollte, das so auffällige und so faktenleere Dokument „Kirchen- und Landprobleme“ las, in dem die CNBB (Brasilianische Bischofskonferenz) eine radikale Agrarreform fordert (und ein Stadtreformprojekt für 1981 andeutet). Welche konkreten und dokumentierten Fakten hat der Papst über die brasilianische Agrarrealität herausgefunden?
Nichts. Oder fast nichts.
Wenn er mehr über das Problem der indigenen Bevölkerung erfahren möchte als die subversiven Gedichte von D. Pedro Casaldáliga, Prälat-Bischof von São Felix do Araguaia. Wird er da viel finden?
Wenn er eine Favela in Rio de Janeiro besucht, wird er dann darüber informiert, was an manchen Lebensstilen der Favela-Bewohner leider authentisch, aber auch oft illusorisch ist?
Kurz gesagt: Wenn die Prämissen einer Argumentation unvollständig und manchmal nicht einmal objektiv sind, können selbst die scharfsinnigsten Denker daraus keine wahre Schlussfolgerung ziehen. Was wird Johannes Paul II. mit so wenigen Daten erreichen, von denen viele umstritten sind?
Vor diesem Hintergrund frage ich: Hat das Itamaraty (Außenministerium) dem Papst – in der nötigen Fülle und Ordnung – alle Informationen über unsere sozioökonomische Realität vorgelegt? Und wie groß sind die Auswirkungen der kommunistischen Gefahr und der religiösen und wirtschaftlichen Krisen, die das Land verwüsten? Haben unsere großen Berufsverbände, ob privat oder öffentlich, dies getan?
Ich fürchte nein. Und diese Angst macht mich ratlos. Ich hoffe, ich habe nicht recht…
Und von der Ratlosigkeit gehe ich zu den Wünschen über. In diesem Artikel, der schon zu lang wird, bin ich gezwungen, sie in einem zusammenzufassen. Wie vehement und intensiv er ist! Würde ich es mit einem Geysir vergleichen, würde die Metapher vielleicht nicht der Realität entsprechen.
Eine so schwere Krise wie die gegenwärtige hat die Weltkirche bis heute nicht erlebt. Diese Krise betrifft im Westen – auch unter Nichtgläubigen – die unterschiedlichsten Bereiche des Geistes. Und deshalb ist die Tragweite dieser Katastrophen viel größer als die eines Atomkriegs, denn solange die Welt existiert, werden Katastrophen im spirituellen Bereich schwerwiegender sein als im materiellen. Und das ist keine Untertreibung. Tatsächlich kann niemand garantieren, dass die Welt das 21. Jahrhundert erreichen wird, ohne einen nuklearen, chemischen und bakteriologischen Krieg erlebt zu haben.
Teilweise aus all diesen Gründen und teilweise aus lokalen Gründen gerät Brasilien seinerseits in eine Krise, die sich zur schwersten unserer Geschichte entwickeln könnte. Eine Krise, bei der wirtschaftliche Faktoren schwer ins Gewicht fallen, die jedoch nur durch kirchliche Subversion unausweichlich sein wird.
Während die Kirche einen mysteriösen Prozess der „Selbstzerstörung“ durchläuft und der „Rauch des Satans“ in ihr präsent ist – die Ausdrücke stammen von Paul VI. – kommt der Nachfolger ebendiesem Paul VI. nach Brasilien. Aber, oh Wunder! Mehr als zu jedem anderen Zeitpunkt in der Geschichte erwarten alle in den unterschiedlichsten Teilen der nationalen Meinung hoffnungsvoll seine Worte.
Meinen Wunsch bringe ich durch die Bitte des Zenturios zum Ausdruck: „Sprich nur ein Wort, so wird mein Land gerettet.“

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Aus dem portugiesischen von 800701 FSP „Dizei uma só palavra

Die deutsche Fassung dieses Artikels ist erstmals erschienen in www.p-c-o.blogspot.com

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