Plinio Corrêa de Oliveira

 

 

„O LEGIONÁRIO“ – Verkünder der Nächstenliebe

 

 

 

 

Freie Übersetzung aus „O Legionário“ (*), Nr. 370, 15.10.1939

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Eine Tatsache von größter Wichtigkeit in der Orientierung des „Legionário“ ist einer kleinen Anzahl seiner Leser, wenn nicht unbemerkt vorübergegangen, zumindest aber missverstanden worden. Denn dieses Blatt, obwohl es ein leidenschaftlicher und bedingungsloser Paladin der vollen Wahrheit — das heißt der katholischen Kirche — ist, widmet es sich doch vorzugsweise dem Dienst an bestimmten Wahrheiten, denen in besonderer Weise seine Hingabe gilt.

Es ist ein elementarer Grundsatz der Gerechtigkeit, dass kein Angeklagter ohne die Unterstützung eines Rechtsanwalts vor dem Richterstuhl erscheinen darf, der seine mögliche Unschuld oder die mildernden Umstände, die ihm helfen könnten, überprüfen soll. Und es ist ein Grundsatz der Ritterlichkeit, dass die Verteidigung der am meisten vernachlässigten Angeklagten, der am meisten vergessenen und am wenigsten von der Gesellschaft geschützten Verbrecher, liebevoll von denen übernommen wird, die die Verteidigung der Wahrheit vor den Gerichten, zu ihrem gewohnheitsmäßigen Beruf gemacht haben.

Es geht natürlich nicht darum, die wirklich schuldigen Menschen freizusprechen oder falsche mildernde Umstände zu schmieden, in der Bemühung, eine Dialektik, die nicht im Dienste der Wahrheit und des Guten, sondern des Irrtums und des Bösen steht zu erfinden. Die Aufgabe des Rechtsanwalts, der sein Amt mit dem Barmherzigkeitsgefühl des barmherzigen Samariters ausübt, besteht nicht darin, die Kerker von Kriminellen zu leeren, um mit ihnen die Straßen zu füllen, sondern nur die Unschuldigen aus den Gefängnissen zu holen, um sie der sozialen Situation wieder zuzuführen, wozu ihre eigene Unschuld sie berechtigt.

Wenn dies der Fall ist bei denen, die die Angeklagten vor dem Richter der Ziviljustiz verteidigen, so muss dies auch und erst recht bei denen geschehen, die sich dem Apostolat in den Reihen der Katholischen Aktion widmen, und dazu bekennen, den mystischen Leib Unseres Herrn Jesus Christus gegen das ungerechte Urteil des Geistes der Welt zu verteidigen. Der Erlöser bestätigte, dass Er die Wahrheit selbst ist. Und wenn die Wahrheit von der weltlichen Demenz verurteilt wird, steht es uns zu, sie wie nie zuvor stolz und unerschrocken zu verkünden, und mit der mutigen Stimme unserer Lobpreisungen das Schrillen der Blasphemien und Irrtümer, die der Geist der Welt gegen sie schleudert, zu ersticken und zu verstummen.

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In den frommen Meditationen der Heiligen, die im Geiste Unseren Erlöser begleitet haben auf den Kreuzweg, den Er gegangen ist, um uns zu erlösen, wurden alle von Ihm erlittenen Schläge, zärtlich hervorgerufen, liebevoll beobachtet und leidenschaftlich durch Liebesakte gesühnt. Wie viele frommen Herzen sind es im Laufe der Jahrhunderte gewesen, die all ihre Einbildungskraft und Liebe vermehrt haben, um den Heiland auf Seinem schmerzlichen Weg durch die Straße der Bitterkeit aufzuhalten, um mit Eifer Seine am meisten verletzten Glieder zu betrachten, und vorzugsweise auf diese die anerkennenden und rührenden Küsse der menschlichen Dankbarkeit zu legen!

Die Kirche ist der mystische Leib Unseres Herrn Jesus Christus. Und jede einzelne Wahrheit der katholischen Lehre, wenn sie abgelehnt, vergessen oder beleidigt wird, kann in gewisser Weise mit einem verletzten Glied des Erlösers selbst verglichen werden. Es gibt Punkte der katholischen Lehre, die zumindest heute in Brasilien nicht Gegenstand von Leugnung und öffentlicher Empörung sind. Diese Wahrheiten können berechtigterweise mit den noch gesunden Gliedern des Erlösers verglichen werden. Es gibt aber andere, die, obwohl allgemein akzeptiert, teilweise durch gegenwärtige Vorurteile entstellt sind. Sie sind Glieder des Erlösers, die bereits von den Henkern verwundet wurden, aber noch nicht mit dem vollständigen Schmerz erfüllt sind, den der Erlöser am Ende seines Lebens empfand, wodurch Er der „Mann der Schmerzen“ schlechthin genannt wird. Es gibt endlich andere Wahrheiten, die verabscheut, beleidigt, vergessen und geleugnet werden. Sie sind die Glieder des Erlösers, die die grausame Verfolgung der Juden bereits völlig getroffen und so viel und so tief verletzt hat. Durch das Äußerste ihrer Entstellung und ihres Leidens erinnern Seine Glieder an die schlimmsten menschlichen Krankheiten. Die Heilige Schrift spricht von „tamquam leprosus“ (wie einem Aussätziger) und bezieht sich auf Unseren Herrn in seiner Passion.

* * *

Als Kind des Lichts und Anwalt der Wahrheit, will „Legionário“ nicht der Verfechter der katholischen Prinzipien sein, die niemand bestreitet, der Wahrheiten, die niemand in Frage stellt, der Tugenden, die alle bewundern. Denn der Anwalt sollte nicht der Verteidiger derer sein, die den Applaus der Menschenmengen erhalten und keine Verfolgung der öffentlichen Gerechtigkeit erleiden, sondern der Beschützer derjenigen, die verfolgt werden und ungerechte Unterdrückung erleiden.

Das ist der Grund, warum alle von der heiligen Kirche Gottes verkündeten Wahrheiten eine kindliche und ehrfürchtige Zustimmung von uns erhalten, und warum wir unterschiedslos allen zu Diensten stehen. Doch das Beste unserer Hingabe, die feinsten Zärtlichkeiten unserer Liebe und die feinste Blume unserer Opfer und Bemühungen, widmen wir der Veröffentlichung und dem Beweis der Wahrheiten, die der Geist der Welt entstellt, vermindert, verzerrt, in Vergessenheit versetzt oder den Massen zur allgemeinen Abscheu hinwirft. Denn der Mystische Leib Unseres Herrn Jesus Christus muss mit besonderer Zärtlichkeit geliebt und getröstet werden, genau in dem, wo Er am grausamsten geschlagen wird. Und unter Seinen zahlreichen Wunden küssen wir jene, die durch allgemeines Unverständnis weniger Mitgefühl erregen, jene auf denen weniger oft die lindernde Kraft der sühnenden Küsse aufgetragen wird.

* * *

Wie leicht wäre die Aufgabe des „Legionário“, wenn es eine andere Orientierung hätte! Wie leicht und angenehm wäre für diejenigen, die es leiten, zum Beispiel von dem großen Gebot der Nächstenliebe einen unveränderlichen Vorwand zu machen für sentimentale Ausschweifungen, für Haltungen, die leichten Applaus auslösen können und für spitzfindige und leichtfertige Zugeständnisse an den Geist der Welt!

Wenn auch die Predigt der Nächstenliebe in allen Spalten unserer Zeitung gegenwärtig wird, was würde es uns vor dem ewigen Richterstuhl nützen, den öffentlichen Geist in der großen Illusion zu belassen, in der er sich in dieser Hinsicht befindet, indem wir ihm die Nächstenliebe darbringen, nicht so wie es sein sollte, sondern wie es unser selbstsüchtiges, materialistisches Jahrhundert vorgibt?

Wenn wir jedoch versuchen, solche Illusionen aufzulösen, wird der Applaus um uns herum unvermeidlich aufhören, werden die für unsere Lauheit geschenkten Blumen verwelken, werden die Dornen einen Teppich unter unseren Füßen bilden und unsere Wege mit Schmerzen füllen.

Man sage zum Beispiel, dass die Heilige Kirche Gottes die Nächstenliebe schützt, und diese große Wahrheit wird sofort allgemeinen Applaus auslösen. Aber lasst uns hinzufügen, dass Nächstenliebe die Liebe Gottes als Wurzel haben muss, dass sie im Wesentlichen die Liebe Gottes selbst und die Liebe des Nächsten aus Liebe zu Gottes ist, und der Applaus wird an Begeisterung und Wert abnehmen. Fügte man hinzu, dass die Nächstenliebe geordnet sein und vorzugsweise  ausgeübt werden über jene, die uns in der Ordnung der Gnade (und nicht nur der Natur) am nächsten stehen und daher zuerst die Katholiken und dann diejenige, es nicht sind zum Ziel haben sollte, wird ein unangenehmer Klatsch unsere Worte willkommen heißen und überall gegen unsere Intoleranz gemurrt werden. Fügten wir noch hinzu, dass Nächstenliebe nicht nur im Trösten der Leidenden besteht, sondern auch darin, diejenigen, die sich irren, zu bestrafen, so wird unsere Popularität vor bestimmten Augen vollständig verschwunden sein.

Aber lohnt es sich, Popularität zu erhalten, wenn der Preis ein feiger Rückzug ist? Welches Beispiel hat uns der Herr in dieser Hinsicht gegeben? Und als Er diejenigen selig pries, die Verfolgung für Seine Kirche erleiden, was hat Er getan, als die ewige Seligkeit denjenigen zu verkündigen, die die volle, vollständige und umfassende Wahrheit nicht verschwiegen haben, wenn auch Verfolgung die Frucht dieser Furchtlosigkeit war?

* * *

Eine große und universelle Verlassenheit ist einer der Eindrücke des Märtyrertums, den die verfolgten Katholiken in Russland hinterlassen haben. Auf den Gläubigen, die in diesem von der Verfolgung des Kommunismus so völlig zerstörten Land leben, lastet einer der größten Unglücksfälle, die die Geschichte der Kirche verzeichnet haben. Täglich riskieren sie durch ihr Engagement und ihren Eifer ihr Leben und das ihrer Verwandten wegen des bösen Hasses der kommunistischen Agenten. Martyrien, Gefängnisse, Verbannung, ewige Arbeit an Orten, an denen sie keinen Zugang zu den Sakramenten haben und in denen selbst das geistliche Leben großen Gefahren ausgesetzt ist, sind die Bedrohungen, die sie täglich belasten. Um sie herum das ständige Martyrium, das Leben einer gottlosen Gesellschaft zu beobachten; Herzen ohne Erbarmen, Seelen ohne Licht, unbeständige Familien, verlassene Kinder, die Unmoral als Tugend errichtet, die Tugend als Schande verfolgt. Dies ist die höllische Umgebung, in der die langen Tage dieser so hart geprüften Existenzen, langsam und von Furcht geplagt, dahinfließen.

Doch zu all diesen Schmerzen fügt sich ein anderer bitterer und trostloser hinzu. Es ist die bedrückende Frage: Was werden die Brüder aus anderen Teilen der Welt für uns tun? Die heilige Kirche Gottes erstreckt sich über die ganze Erde. In allen Nationen der Welt hat sie viele Kinder. Außer diesen gibt es Bevölkerungen des wahren Glaubens beraubt, die aber die Vorteile eines Familienlebens entsprechend den Anforderungen der menschlichen Natur genießen und die Tugend kultivieren, die ihnen die einfache natürliche Vernunft vorgibt. Was machen all diese Leute? Bemerken sie nicht, dass Tag für Tag, Minute für Minute, Sekunde für Sekunde, ihre russischen Brüder „im Schatten des Todes sitzen“ und auf den befreienden Kreuzzug warten, der diese Gefangenschaft beenden könnte? Und wenn die Arme dieser Befreier durch unüberwindliche Schwierigkeiten gebunden sind, werden ihre Herzen wenigstens den großen Schmerz ihrer russischen Brüder verstehen? Wenn wirksame Hilfe sie nicht befreien kann, welcher ist dann wenigstens der lindernde Trost ihrer Herzen?

* * *

Auf diese Fragen antwortet die Presse, die sich in das desolate Russland hineinschmuggelt, in der Regel auf trostlose Weise. Die Zeitungen berichten über alles. Sport, Kinos, Tänze, Vergnügungen. Wenn sie ab und zu mal über den Kommunismus berichten, dann, um die Gefahr im eigenen Haus zu bekämpfen. Das Leiden Russlands wird eher als eine Waffe der inneren Gegenpropaganda, als eine Folge des ernsten Mitgefühls verwendet. Und die Augen, die auf der Suche nach einem Zufluchtsort über die Grenzen hinausschauen, fielen ungetröstet in die Dunkelheit. Nein, auch Außenstehende haben sie nicht richtig verstanden. Nur eine Stimme hat sie verstanden und machte sich zum Fürsprecher ihrer Schmerzen. Es war die Stimme der Kirche durch ihre Hierarchie. Doch der zivilisierte Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts, der verschränkte seine Arme.

*  *  *

Ich gestehe, dass diese Tatsache mich tief beeindruckt hat. Und diese Überlegung hat mich dazu gebracht, mich an andere Verfolgte zu erinnern, an die Opfer des Nationalsozialismus, zum Beispiel an jenen glorreichen und unglücklichen Schuschnigg, der immer noch unermessliche Schmerzen leidet, in den tiefen eines unbekannten Verlieses leidet, von den Menschen vergessen und nur getröstet von Gott.

Und dieser Gedanke kam mir, voller Entsetzen, über den Eindruck, den unsere verfolgten Brüder hätten, wenn sie in gewissen Zeitungen nicht nur eine echte Gleichgültigkeit über ihre Qualen gesehen, sondern unter dem Deckmantel der Nächstenliebe die Absicht keine zwingenden Proteste gegen die Verbrechen ihrer Peiniger zu äußern, ausgemacht hätten.

Welchen Eindruck würde ein jeder von uns bekommen, wenn wir im Gefängnis wären, verfolgt weil wir Katholiken sind, vom Einsatz unserer Brüder im Glauben auf die Befreiung oder wenigstens den Trost in unseren Leiden wartend und merkten, dass wir weder diese Unterstützung noch den Trost bekommen würden, weil sie Angst hatten, dadurch unsere Peiniger zu kränken!

Es kann sein, dass „Legionário“ viele Mängel hat. Diesen Mangel hat es jedoch nicht: Niemand hat je Verfolgung wegen seiner Kirchenzugehörigkeit erlitten, ohne dass „Legionário“ ganz auf seiner Seite stand, seine Schmerzen empfindend, als würde es sie selbst erleiden und seine Rechte verteidigend, als ob sie die der eigenen brasilianischen Katholiken wären.

Keinen Angriff auf die Feinde der Kirche haben wir unternommen, der nicht so verstanden worden wäre. Die Kirche ist ein mystischer Leib, nicht nur in der Theorie, sondern in Wahrheit. Und kein Mitglied dieses Körpers wurde jemals verletzt, ohne dass seine Schmerzen, lebendig und im vollen Umfang, auf die Seiten unserer Zeitung widerhallten und direkt aus der Bitterkeit unserer Herzen strömten.

Viele Leser werden gelächelt haben, als wir in diesem Artikel behaupteten, dass alle Seiten des „Legionário“ voller Beweise der Nächstenliebe sind. Diese Liebe ist, wie man sieht, sehr authentisch und richtet sich genau an diejenigen, die am meisten das Recht auf Liebe haben: es sind diejenigen, die uns am nächsten stehen. Man wird niemals sagen können, dass wir die Rechte der Opfer aus Gleichgültigkeit gegenüber den Schergen verkannt hätten.

Ist es nicht wahr, dass das Blatt „Legionário“ so ist, wie Dante hätte sagen können: „die Liebe bewegt es und bringt es zum Reden“?

Wie viele aber gibt es, die in dieser Liebe nur Hass sehen? Eines können jedoch diejenigen, die uns nicht verstehen, sehr sicher sein. Auch sie lieben wir in Jesus Christus. Und sollte eines Tages ihre Gewissensrechte verletzt werden, werden sie uns liebevoll an ihrer Seite finden.

Dann werden sie wohl wahrnehmen, mit wie viel Liebe unsere Kampfbereitschaft durchdrungen ist, in der sie nur Hass sehen. 

(*) Katholisches Wochenblatt der 30. und 40. Jahre in São Paulo, Brasilien. Originaltitel: „O arauto do amor ao próximo“.

Plinio Corrêa de Oliveira zum 100. Geburtstag


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